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von Knut Ewers
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Wir brauchen Zuwanderung!

in Integration 06.01.2012 19:15
von Knut • 31 Beiträge

Wir sind eine überalternde Gesellschaft und werden weniger, wir haben Sorgen um die Rentenkassen, wir hängen der Überzeugung an, nur Wachstum könne unsere Zukunft retten, zugleich wandern seit einigen Jahren mehr Menschen aus Deutschland aus als "Ausländer" ein.

Und trotzdem leisten wir uns den Luxus, mit unmenschlichen Mitteln, die niemand von uns je am eigenen Leib erfahren wollen würde, Menschen, die hochmotiviert zu uns kommen wollen, um Teil unserer Gesellschaft zu werden, abzuschrecken. Wir ignorieren, welche Leistung ein Asylbewerber in seinem Leben vollbracht hat - erst, in seinem Heimatland sich nicht zu unterwerfen, sondern Ungerechtigkeit mutig die Stirn zu bieten und die Folgen in Kauf zu nehmen. Dann, unter Aufbietung oft übermenschlicher Kräfte und Inkaufnahme hoher Gefahren für Leib und Leben sich auf den Weg zu machen, seine Familie und Heimat zurücklassend. Und schließlich, sich in einer völlig fremden Welt mit einer völlig fremden Sprache zurechtzufinden und Zurückweisung, Misstrauen und Herablassung auszuhalten. Auch die Diskussion über Zuwanderung ohne Berufung auf das Asylrecht wird kleinlichst geführt und ist geprägt von (gezielt geschürten und von schwarzer und brauner Seite politisch benutzten) Ängsten vor Kriminalität und "Überfremdung".

Dabei ist es eigentlich ganz egal, ob jemand wirklich als Asylbewerber zu uns kommen will, oder tatsächlich, weil er an unseren besseren wirtschaftlichen Verhältnissen teil haben will. 734.000 Deutsche sind 2009 ausgewandert. Menschen mit Visionen für ihr Leben, mit Mut und Hoffnungen - und der selbstverständlichen Erwartung, dort in der Fremde willkommen zu sein. Was gibt uns denn überhaupt das Recht, im umgekehrten Falle den Zuwanderern nicht das gleiche Recht zuzugestehen und ihnen mit dem gleichen Respekt zu begegnen, den wir für unsere Auswanderer erwarten?

Die Zuwanderer sind oft relativ jung, wollen unbedingt Arbeit finden - die wir ihnen verbieten - um dann perspektivisch eine Familie zu gründen und sich etwas aufzubauen. Dabei benötigen sie nicht nur einen Arbeitsplatz - den sie ja nach brauner und mitunter auch schwarzer Lesart "uns" wegnehmen - sondern werden auch zu Konsumenten, die gerade in der Phase des Neuaufbaues Geld ausgeben möchten, statt es auf die hohe Kante zu legen. Komisch, dass über diesen Teil ihrer Rolle niemand redet. Gerne ist man besorgt, wie man denn zwei bis drei Prozent Wirtschaftswachstum hinkriegen soll - als sei das nicht noch schwieriger, wenn man einer jährlichen Abwanderung von 1% der Bevölkerung, und damit der Konsumenten, nichts entgegensetzt.

Bezüglich der in den Siebzigern nach Westdeutschland eingeladenen Italienern und Türken hat man mal untersucht, wie sich ihre Geldkreisläufe auf die Wirtschaft ausgewirkt haben. Ihre Bilanz war in den ersten fünf Jahren noch negativ, da haben sie also die Gesellschaft etwas gekostet, danach kippte sie ins Positive, sie wurden zu einem Gewinn in unserem Wirtschaftskreislauf. Das Argument, die Zuwanderer würden nur die deutschen Sozialsysteme belasten, ist also schon damals eindeutig widerlegt worden.

Bezüglich dieses unsäglichen Geredes von der Ausländerkriminalität ist wiederum erwiesen, dass deren größter Teil auf das Konto der Residenzpflicht geht. Was hier so schön benannt wird, ist in Wirklichkeit eine so gnadenlose Einschränkung persönlicher Freiheit, dass kein Deutscher sie jemals hinnehmen würde (und müsste), nämlich das Verbot, den zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Auch wenn die nächste Verwandschaft wahrscheinlich in einem anderen Landkreis untergebracht wurde... Eine kriminelle Handlung also, die ein Inländer gar nicht begehen könnte. Ohne diesen Teil der Kriminalität ist die Ausländerkriminalität weit unter der der Inländer.

Und schließlich: Eine Gesellschaft, die sich abschottet, weil sie ihre "Leitkultur" gefährdet sieht, scheint ja von dieser nicht so wirklich überzeugt zu sein. Statt bereit zu sein, die eigene Kultur zu bereichern, aber auch zu hinterfragen und im Austausch mit anderen Kulturen weiter zu entwickeln, kämpft sie aggressiv gegen die Gefährung des Status quo. Als sei nicht noch jede Gesellschaft, die so vorgegangen ist, historisch irgendwann an ihrer eigenen Erstarrung gescheitert - ob man nun auf das römische Reich zurückgreift oder nur ein paar Jahre auf die DDR - die ja auch nicht in erster Linie an der Qualität ihrer Gründungsidee, sondern daran gescheitert ist, mit Gewalt alle Einflüsse von außen, alle Veränderung und Weiterentwicklung, zu verhindern.

Was bedeutet dies für Mühlhausen?

Asyl- und Einwanderungspolitik ist kein lokales Politikthema. Und doch kann auch vor Ort vieles getan werden. Dies beginnt mit dem klaren Bekenntnis für Zuwanderung und die Offenheit der Gesellschaft, geht über die Qualität der Unterbringung von Zuwandern und die Formen des Umganges mit denselben, bis zur Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen und Kundgebungen als Stadt, wie es uns z.B. der Jenaer OB regelmäßig vormacht.

Mir reicht der Begriff der Toleranz, der hier gerne gebraucht wird, nicht. Denn Toleranz heißt ja nur, etwas nicht zu verurteilen. Wir brauchen aber mehr: Wir brauchen Neugier auf das, was Zuwanderer uns zu sagen und zu geben haben. Wir brauchen eine Grundhaltung, die Zuwanderung nicht als Gefahr, sondern als Chance für unsere Gesellschaft sieht. Wir brauchen Integration nicht in der CDU-Lesart als Anpassung und Unterwerfung, sondern als gegenseitige neugierige Begegnung unter Achtung und Zulassung der jeweiligen Besonderheiten.

Die Ausländerwochen, die hier jährlich organisiert werden, sind gut. Aber wirklich gut ist es erst, wenn es keine Ausländerwochen mehr braucht, weil das, was da organisiert wird, alltäglicher Teil unseres Kulturlebens geworden ist. Darin liegt für mich die Hauptbedeutung der Ausländerwochen, dass sie deutlich machen, was alles möglich wäre, aber im Rest des Jahres eben nicht geschieht.

Für eine solche Grundhaltung können gerade repräsentative Menschen wie Oberbürgermeister eine Menge beitragen. Was ich hiermit als OB zu tun verspreche!


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### Der schlechteste Grund, etwas zu tun, ist, dass es viele andere tun
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zuletzt bearbeitet 06.01.2012 19:28 | nach oben springen


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